Sonntag, 3. April 2011

typisch

2011-04-03 045Ein Adjektiv, dieses typisch, ein Wie Wort also. Bedeutet: charakteristisch für einen bestimmten Typ sein oder auch unverkennbar einen Typ verkörpernd. Soweit zur intellektuellen Angeberei.


Für mich typisch ist zum Beispiel, dass ich am Wochenende meist nicht lange schlafen kann, dass ich Stunden vor meinen Damen wach bin. Seit ein paar Jahren nutze ich die Zeit und schaue mir die Gegend an, höre dabei Musik und knipse ab und zu Etwas.

2011-04-03 004Heute ging’s zuerst nach Stuttgart zur Villa Berg. Typisch, vielleicht, wie mit so einem Schmuckstück umgegangen wird, wenn es nicht im Licht der Öffentlichkeit steht.

Erbau um 1850 als Sommersitz des Kronprinzen, mit 24 ha Parkanlage, ab 1913 in städtischem Besitz, im 2. Weltkrieg zerstört, danach vereinfacht wiederaufgebaut. Von 1950 bis 2004 war dort der “große Sendesaal” des Süddeutschen Rundfunks, später SWR.

Vielleicht ja auch typisch, dass diese große öffentlich-rechtliche Einrichtung, dann festgestellt hat, dass die Kosten der Denkmalpflege zu hoch sind. Und wie so oft ist neu bauen ja viel schicker, bringt Intendanten mehr Renommee. An unser Grundgesetz und dass Eigentum verpflichtet denkt dabei Niemand. 

2011-04-03 015Des Stuttgarter Oberbürgermeister Schusters liebster Stadtentwickler und Baulöwe Rudi Häussler erwarb 2007 das Areal, praktischer Weise zum Symbolpreis von einem Euro.

Immerhin versprach er nicht nur die Sendegebäude durch bis zu 60 nobel Wohnungen zu ersetzen, die Villa wollte Häussler auf eigene Kosten renovieren, ein nobel Hotel, ein drei, vier ach was fünf bis sechs Sterne Hotel oder wenigstens Restaurant war im Gespräch. Ob man das ganze in eine “Gated Community” umwandeln kann, mit Wachdienst und Zugangskontrollen war auch schon im Gespräch. 

2011-04-03 027Teile der Häussler Gruppe kamen  2010 in finanzielle Schwierigkeiten, wie es weiter geht ist ungewiss. Immerhin hat die Zeit gereicht, die Zugänge zur Villa im Erdgeschoss zu verschließen um die Anlage vor Vandalismus zu schützen.

Typisch hier eigentlich nur, dass es fast Niemanden zu stören scheint. Willfährig jeden Montag zu dem doofen Bahnhof ziehen, im Schlossgarten campieren, Mahnwachen abhalten, Aufzuchtstationen für vereinsamte Juchtenkäfer einrichten. Nix scheint für “Gegen S21” aufwändig (neue Rechtschreibung) genug zu sein aber so etwas läßt man vor die Hunde gehen.

2011-04-03 012Mein absolutes Lieblingsobjekt an der Villa sind die terrassenförmigen Wasserspiele. Leider habe ich sie nie in Betrieb gesehen, typisch für die Zeit um vermutlich 1960, lässt sich diese klassische Schönheit nur erahnen. Alleine schon die verschobenen Waschbeton Platten der Furt über die erste Terrasse; einfach schon seit Jahren nicht mehr saniert.

  Die Parkbänke sind noch vorhanden, so finden sich schon Sonntag Morgens diverse Besucher ein. Zuerst fällt mir der Kollege mit seiner Zeitung auf. Mit der Bild am Sonntag und einer Dose Radeberger geniest er die Sonne.

Ich genieße schon seit Anfang Peter Fox live in Berlin, jetzt gerade “Schwarz zu Blau” – passend. Nochmal zurück vor den Eingang der Villa.

2011-04-03 028Doch auch irgendwie typisch die Stiefmütterchen eingepflanzt, aber keinen Klecks Farbe um den abblätternden Lack auszubessern. Nochmal setzt sich einer auf eine Bank, die Bild am Sonntag, er scheint aber an einem anderen Kiosk zu kaufen, er trinkt auch Bier aus der Dose aber kein Radeberger.

Ein Jogger, eine Dame walkt nordic, beiden gemeinsam: der Spassfaktor scheint gegen Null zu gehen, vielleicht fehlt auch nur Anerkennung durch Publikum.

2011-04-03 040Zwei altersschwache Hunde ziehen ihre altersschwachen Menschen durch den Park. Die schwarze PicoBello Tüte aus dem Automaten bleibt in diesem stecken, die Menschen würden nach dem zum Scheißhaufen bücken sowieso nicht mehr hoch kommen.

Normalerweise sieht man sie nicht hinten an der Hundeleine sondern hinterm Rollator.

Ungleich geschickter stellt sich der Reiher an. Der doch ganz schön große Vogel steht im Baum auf dem höchsten Ast. Von dort geht es ihm bestimmt wie mir, typisch, von sehr2011-04-03 025 sehr vielen Stellen der Stadt sieht man den Fernsehturm.

Herr Fox ist in der Zwischenzeit zu Ende. Jetzt wird es mal wieder Spliff  fängt mit "Herzlichen Glückwunsch" an.

2011-04-03 026So richtig aufgefallen war mir die andere Villa in Halbhöhenlage über Stuttgart Gablenberg mit Blick über die unteren Neckar Vororte und Esslingen eigentlich noch nie. Die werde ich jetzt (be)suchen. In der Heidehofstr. werde ich fündig. Ein mit hohem Sichtschutz umzäuntes Gelände. Die Villa macht durch einen kleinen Spalt im Zaun einen exklusiven Eindruck. Die Nachbarschaft hat sich angepasst, edel, nicht ganz so alt, nicht ganz so exklusiv wie dieses Bauwerk. Alles aber schön gepflegt, hier lässt sich’s bestimmt auch leben.

Laut Schild gehört, die Villa der Bosch-Stiftung, die scheinen deutlich mehr Geld als der Rundfunk zu haben, darauf deutet jedenfalls der äussere Erhaltungszustand an. Vielleicht kann ich ja mal beim Tag des offenen Denkmals in diese Bosch Villa.

Typisch Stuttgart Ost Gänsheide, eine der Top Wohnlagen in Stuttgart, lange hält’s mich nicht in der Gegend, werde sowieso argwöhnisch beäugt durch große Fenster, von Videokameras, fast umgefahren von einem ca. 60 jährigen in einem dunklen 6.3 Mercedes AMG.

Interessant, die vielen Plakate gegen S21 in den exklusiven Fenstern, die vielen S21 Bäpper auf den teuren Fahrrädern an den Häusern und Fahrradschuppen, es macht ein bisschen den Eindruck, dass da der verwöhnte Nachwuchs auch seinen Protest zeigen darf, beziehungsweise, die Ernährer sauer sind, dass sie bei der Vergabe nicht ausdrücklich berücksichtig wurden – eine Einzelmeinung von mir.

Jetzt noch ein kurzer Blick ins Tal dann weg, da sehe ich eine Sternwarte. Typisch, klar Stuttgart hat auch eine Sternwarte, ich musste nur 47 Jahre alt werden um das zu entdecken. Also auf zur Uhlandhöhe.

2011-04-03 091Die direkte Zufahrt zur Uhlandshöhe ist nicht erlaubt. Das Auto dann unten abgestellt, die für Stuttgart typischen Stäffela (Treppen / Staffeln ?) hoch gelaufen. Von dort aus den Blick Richtung Innenstadt, zum Hauptbahnhof. Wieder Spliff im Ohr, diesmal Die Mauer “wir warten schon viel zu lange so lang kann das nicht sein”  trotz toller Sonntag – Morgen – Frühling – Sonne verfall ich in Depression.

2011-04-03 051Ein weiter Blick über die gesamte Gleisanlage des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Falls ich es je erlebe, dass Stuttgart21 wie geplant gebaut wird, ergeben sich dann selbstverständlich riesige innerstädtische Flächen. Dass dies Begehrlichkeiten der Verfechter und Nutznießer des Projekts weckt scheint klar.

Eine Vorschau auf die eventuell kommende Bautätigkeit zeigt der Blick Richtung Europaviertel oder natürlich auch Quartier wie man aktuell dazu sagt. (in den 90ern des vorherigen Jahrhunderts hätte es “Park” geheissen) solche Begrifflichkeiten lenken 2011-04-03 053aber doch nur ab. Fest steht, die Bibliothek ist fast fertig, was sonst dort noch kommt weiß ich nicht. Ein für Stuttgarter Verhältnisse durchaus riesiges Gebäude. Ich bin immer noch am überlegen, ob mir die Klotzoptik, das Hochbunkerartige gefällt.

Auf dem Hügel, östlich, der Innenstadt, früher Ameisenberg, entstand eine Parkanlage, die Ihren Namen Uhlandshöhe 1862 für das ganze Areal erhielt. Ich vermute mal als Reminiszenz für den Dichter und Politiker  Ludwig Uhland, der just in diesem Jahr verstarb.

2011-04-03 057Interessanterweise wurde diese Parkanlage vom Verschönerungsverein Stuttgart  im Jahr 1862 geschaffen, eine von drei größeren innerstädtischen Grünflächen. Dass der Blick von diesem Aussichtspunkt heute ein anderer als vor 150 Jahren ist ist mir klar.

Andererseits, wenn nie Neues geschaffen würde, würden wir noch heute in Höhlen leben.  Ich wollte aber noch kurz zur Sternwarte schauen, den Weg runter, sonntag Morgen es herrscht noch nicht viel Betrieb. 2-3 Menschen geniessen sie Sonne. 


Bernd Stöcker, Eva,  1984Jetzt komm ich an einer Statue vorbei. Vermutlich auch typisch, die Plakette vor der Skulptur fehlt. In der Nachbearbeitung meines Spazierganges muss ich nach dem wer ? wieso ? weshalb ? googeln.2011-04-03 073 Bis jetzt weiß ich, dass es sich hier um die 1984 von einem Bernd Stöcker geschaffene Eva handelt.

Gut, die Büste vom ollen Uhland lass ich links liegen erstens ist er deutlich hässlicher als die Eva, zweitens lag (stand) Sie auf dem Weg rüber zur Sternwarte.

Im Nachhinein freu ich mir ein drittes Ei in den Sack, darüber, dass sich heute Alles so einfach recherchieren lässt. Wie lange hätte es früher gedauert etwas über die Skulptur zu erfahren.  Rechter Hand eine Gärtnerei. Richtig, eine Gärtnerei wahrscheinlich schon seit hunderten Jahren am Platze, ich will die Grundstückpreise hier gar nicht wissen, dann aber eine Gärtnerei statt einer Villa ?

2011-04-03 076Dass die Sternwarte geschlossen war überrascht mich nicht, ich gehe auf die Wiese daneben. Nochmal ein herrlicher Blick zum Rotenberg, den oberen Neckarvororten, Esslingen und den Schurwald selbstverständlich auch wieder der Fernsehturm.
Der Platz selbst, typisch,  der exklusiven Lage geschuldet auch eine eher edlere Wiese. Kräftiges Gras, kein Grillplatz, nicht 4 Pfosten als Bolzplatz, in der Mitte kreisförmig Blumen2011-04-03 077 eingepflanzt, um daran die Sonne und die Beziehung der Planeten darzustellen.
Das Publikum typisch, drei Rentner mit ihren drei Rentnerinnen genießen die Aussicht. Einer der Rentner erklärt fundiert den Anderen die Energie der Sonne, deren Ausmaße und Daten. War klar für diesen Ort, wenn es da nicht um die Ergebnisse von onserm VFB, den Enkeln oder um anderes Stammtisch Geschwätz geht. Der Vater im langen blauen Hemd, in seiner Freizeit zieht er auch schon mal gerne Jeans an, mit den 3 Kindern, der älteste höchstens sieben Jahre alt.  Spielt Fliegerle mit der Tochter, wieso wundere ich mich nicht, dass er den Kleinsten Lukas ruft ? Nachher wird er der Mutter seiner Kinder erzählen, dass er mit den Kindern draussen war und gespielt hat. Sie wird’s freuen, konnte sie doch 2 Maschinen voll Schmutzwäsche machen ohne dass sie heute nach den kleinen schauen musste.
2011-04-03 084Typisch selbst die Graffiti (singular: Graffito) mit der die Sternwarte verziert ist. Keine Hallschlag, Freiberg, U-Bahn Schmierereien deren Hauptbestandteil die Worte F*ck*n und V*tz* sind. Mehr die entspannte, intellektuellere, gesättigte Version wie hier “it’s time to say no” – “endlich sagt’s jemand”, das Peace-Symbol, gut ein unvermeidliches K21. Es ist Jugendaufstand light, das Augenmerk auf die Aussage, die Graffiti aber schlicht, deutlich sieht man, dass da die Übung fehlt, wenn man den Ort betrachtet erkennt man dann aber auch, dass das Risiko bei seinem tun erwischt zu werden eher klein ist, mit 2 Homies, die aufpassen, kann nichts passieren.
2011-04-03 083
Ja sogar der Lärmpegel, ist angemessen, alles solide, gediegen, exklusiv, der Platz lebt wirklich davon, dass es zu aufwändig ist, mit den öffentlichen zu kommen, beziehungsweise, dass man nicht mit dem KFZ anfahren kann. Die Bewohner in den Häusern der direkten Umgebung machen nicht unbedingt den Eindruck, dass sie diese Oase der Ruhe benötigen, die Gärten der direkten Umgebung sind groß genug um da Entspannung zu finden. Ich muss zurück, nach Hause bevor der Sonntag vorbei ist.
2011-04-03 086
Auf dem Weg zurück noch kurz auf den Spielplatz geschaut, eher untypisch für die Spielplätze, die ich kenne. Alle Spielgeräte scheinen in Ordnung zu sein, keine Anzeichen von Vandalismus, aber auch keine Anzeichen, einer neuzeitlichen kollektiven Betrinkung, sprich die weißen Plastikbecher, die Wodkaflasche, die leeren Tetrapacks Orangensaft oder Deckel von Cola Flaschen fehlen, hier hat am Samstag Nacht offensichtlich kein Vorglühen statt gefunden. Ist der Ort doch zu weit vom Schuss ?
2011-04-03 092Auch typisch, dieser Sichtschutz, um die ganzen Grundstücke, natürlich will sich nicht jeder in den Garten schauen lassen, andererseits fürchtet der Eine oder Andere doch bestimmt auch den Neid,  die Missgunst oder ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum seiner Zeitgenossen. Dies würde auch die Stacheldraht Verzierung der Zäune erklären. 2011-04-03 093Ich weiß es nicht, ob diese Maßnahmen erforderlich sind, ob man es beim Nachbarn abgeschaut, empfohlen bekommen hat, es sieht ja auch ein bisschen danach aus, als diese Abwehr schon seit längerem installiert ist.


2011-04-03 096So etwas von typisch ist dann noch ganz zum Schluss, der Herr der mir entgegen kam.Doofe Hose, doofes Hemd, doofe weiße Kappe, den doofen Pullover über die Schulter gelegt, mit doofem bedächtigen Schritt die Stäffella hoch. Am allerdöofsten jedoch die auf den Rücken gehaltenen Arme. Nichts ist altmännerlicher als dies.




Achso, falls es tatsächlich jemanden geben sollte, der das Ganze bis hier hin gelesen oder wenigsten überflogen hat, fände ich es sehr toll, wenn dieser Jemand, gerne auch Jemandinn  mal einfach auf “Kommentare” klickt und seinen Kommentar (notfalls auch anonym/ notfalls auch negativ) abgeben würde.

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